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Müll - von Wolf Haas

  • rbr0303
  • 8. Juli
  • 2 Min. Lesezeit
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Müll von Wolf Haas


Ich bin kein Krimileser, muss ich gestehen. Krimis landen selten auf meinem Gabentisch, weil ich schon so viele im Fernsehen gesehen habe? Vielleicht schrecken mich Plots ab, die sich in den Vordergrund drängen, der zu erwartende Spannungsaufbau, die gelegten und angedeuteten Fährten, die Verdichtung bis hin zur Auflösung des oder der Rätsel. Da fällt mir ein, dass ich die Philip Marlowe Reihe von Raymond Chandler vor einigen Jahren begeistert gelesen habe, sie gehen über das Kriminalistische weit hinaus, wie auch Müll von Wolf Haas.


Ich wusste nicht, dass es sich bei Müll um einen Krimi handelt mit einem Ermittler, der schon zahlreiche Fälle im Haas‘schen Universum gelöst hatte und nach Jahren der Versenkung aus dem Kosmos des Autor Wiederauferstehung feierte. Brenner war mir unbekannt und so verriet mir der Buchrücken nicht, was beim Lesen auf mich zukommen würde. Ich stand beim Kauf unter Zeitdruck und verließ mich auf die wohlwollenden Buchbesprechungen der Literaturkritik von Haas anderen Werken.


Wenn ich darüber nachdenke, welche Autoren es ohne eine mir bewusst gewordene Empfehlung in mein Bücheregal geschafft haben, fallen mir spontan Niklas Luhmann und Byun-Chul Han ein. Ich stieß auf einige ihrer Werke in den Auslagen einer Buchhandlung, las lange und entschloss mich dann zum Kauf. Fiktionale Realität erlaubt uns, Identitäten, Denkmuster, Meinungen, Positionen, Haltungen in unserer Vorstellungen durchzuspielen, ohne dass es dabei Ernst wird, ohne negative Konsequenzen fürchten zu müssen. Man kann sogar mit anderen darüber reden. Das war in Deutschland nicht immer so und ist in vielen Ländern heute noch oder heute wieder ein problematisches Vergnügen. Der Protagonist Brenner, ein ehemaliger Kriminalbeamter und Privatdetektiv, ähnlich wie Philip Marlowe, allerdings auf dem Lebensweg eine Rille weiter, ist längst aus der Selbstoptimierungsfalle geklettert, arbeitet auf einem Recyclinghof und lebt illegal in Wohnungen, deren Besitzer für längere Zeit abwesend sind.


Leichenteile tauchen im Recyclinghof in den falschen Behältern auf, in Wanne 4 findet der Mitarbeiter Udo ein Knie, obwohl Wanne 4 für Sperrmüll vorgesehen ist. Bis auf das Herz finden die Mitarbeiter alle Teile des Puzzles, aber keines im richtigen Behälter, wie es sich gehört.


Die Sprache der Erzählstimme, die verstümmelten Sätze ließen mich zunächst ein ums andere Mal schulterzuckend erstarren, ich kam sichtlich ins Stocken, bis ich allmählich verstand, dass das so sein musste, bis ich mich damit anfreundete, bis ich der Sprache schließlich Respekt, manchmal gar Ehrfurcht zollte. Plot, Charaktere, ernste Themen wie sprachliche und kulturelle Missverständnisse, zerrüttete Familien, Organhandel, Sterben sind intellektuelle Spielmasse, die das irre Ende aus der Roman- auf eine andere Ebene katapultierte, sodass sie sichtbar, mir präsent wurden, Gedanken keimen ließen.


Ich liebe Kunst, die mit wenigen Pinselstrichen Räume öffnet und dabei fast beiläufig Welten erschafft, die zu schauen, ich mir zuvor nicht zu erträumen vermochte.

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