Der Fremde - Von Albert Camus
- rbr0303
- 20. Aug.
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Der Fremde - von Albert Camus
Der Fremde ist ein komischer Typ. Er redet nicht viel und gibt einsilbige Antworten; mit wenig zufrieden, nimmt er die Geschehnisse hin, wie sie sind.
Der Protagonist, Meursault, der als einfacher Kaufmann in einer Firma arbeitet, erfährt in einem Telegramm, dass seine Mutter im nahegelegenen Altersheim gestorben ist und am nächsten Tag beerdigt werden wird. Zuvor bewohnte er mit ihr dieselbe Wohnung. Als sie gebrechlich wurde, brachte er sie im Altersheim unter. Das Leben mit ihr wäre ihm zu anstrengend geworden. Jetzt ist die Wohnung zu groß.
Meursault macht sich auf den Weg zum Altersheim, lernt dort, während der Totenwache, die Bekanntschaften der Mutter kennen und am nächsten Tag auf der Beerdigung den hinfälligen Perez, mit dem seine Mutter eine engere Freundschaft verband.
Nach der Beerdigung trifft er seine Ex-Kollegin Maria, auf die er früher schon ein Auge geworfen hatte. Die erotische Spannung zwischen den beiden entlädt sich schnell. Maria sucht Liebe, mit solchen Gefühlen kann der Fremde nichts anfangen, willigt aber trotzdem ein, sie zu heiraten. Die körperliche Nähe zu Maria ist ihm angenehm.
Er kennt zwei Nachbarn, nicht näher, wechselt hin und wieder ein Wort mit ihnen. Der alte Salamano prügelt seinen hautkranken Hund, der ihm dann irgendwann wegläuft, der andere, Raymond, man sagt ihm nach, er sei ein Zuhälter, seine Freundin, weil sie ihn wohl betrog oder weil er das vermutet. Raymond berichtet von einer Auseinandersetzung mit deren arabisch-algerischem Bruder. Meursault redet im ganzen Roman immer nur von „Arabern“. Er schreibt für Raymond auf dessen Wunsch einen Brief, der die Freundin in Raymonds Wohnung lockt. Dort prügelt er die junge Frau erneut, sodass die Nachbarschaft, aufgeschreckt durch deren Schreie, darauf aufmerksam wird und die Polizei erscheint. Die Tat bleibt für Raymond rechtlich folgenlos.
Raymond lädt den Fremden und Maria am Wochenende zu einem entspannten Aufenthalt ins Strandhaus eines Freundes ein. Dort baden sie, gehen spazieren. Die Frauen kochen, die Männer gehen zurück an den Strand und treffen dort auf den Bruder von Raymonds Ex-Freundin im Kreise seiner Freunde, die Raymond, dem Fremden und Maria zum Strandhaus gefolgt sind. Es kommt wieder zu einer Auseinandersetzung, bei der der Bruder der Ex-Freundin ein Messer zückt. Raymond hat einen Revolver dabei, den er zuvor dem Protagonisten gegeben hat oder der diesen an sich nimmt. Die Situation entspannt sich wieder. Sie gehen zurück zum Strandhaus. Der Fremde geht alleine den Strand entlang und trifft auf den Bruder der Ex-Freundin. Es ist heiß, die Sonne blendet, der Bruder der Ex-Freundin zückt das Messer, der Fremde fühlt sich bedroht oder ihm droht ein Hitzschlag, er schießt auf den Bruder, der tödlich getroffen zu Boden sinkt. Der Fremde feuert dann noch weitere vier Schüsse auf den auf dem Boden Liegenden ab.
Daraufhin wird er verhaftet. Der Fremde nimmt die Untersuchungshaft, das Gerichtsverfahren hin wie sein altes Leben. Weil er sich keinen Anwalt sucht, stellt ihm das Gericht einen Pflichtverteidiger, der seine Sache nicht wirklich gut macht. Auch durch das Gerichtsverfahren erfahren wir nicht, was genau sich wie abgespielt hat. Man hat den Eindruck, das Gericht verurteilt ihn nicht zum Tode wegen Mordes, sondern weil er beim Tod der Mutter kein Mitgefühl gezeigt hat. Die Freunde des Bruders der Ex-Freundin werden gar nicht als Zeugen geladen, das Gericht beschäftigt sich nicht mit dem Leben des Opfers oder wir erfahren vom Ich-Erzähler einfach nichts darüber. Das wirkt aus meiner Sicht überaus befremdlich, wirft auf der anderen Seite ein bezeichnendes Licht auf den Fremden, der keinerlei Reue zeigt, keinerlei Mitgefühl mit den Opfern. Wie der Fremde das Leben wahrnimmt und beschreibt, wie er denkt, ist absurd.
Der Fremde bewältigt die Anforderungen, die das Leben an ihn stellt mit minimaler Anstrengung und ohne jeden Ehrgeiz, fragt weder nach dem Warum, noch strebt er irgendein Ziel an. Der Text ist in der Ich-Perspektive des Fremden geschrieben, klar, einfach, jedes ausschmückende, das Innere ausleuchtende Wort vermeidend. Der Protagonist beschreibt die Anderen, so auch seine Freundin Maria, wie er sie beobachtet und verzichtet darauf, sich zu überlegen, was sie denken und fühlen. Gefühle scheinen ihn nicht zu beschweren und geben ihm bewusst keinen Handlungskompass, obwohl er sie in anderen lesen kann.
Romane, aus der Ich-Perspektive geschrieben, fordern dem Leser einiges ab, insbesondere, wenn sie uns in den Kopf eines Täters versetzen. Wie entsteht Distanz, wenn man immer wieder „ich“ liest? Die Verführungskünste des Ich-Erzählers hat uns Nabokov in Lolita meisterhaft vorgeführt. Einige Leser bewerten den Ich-Erzähler und den Autor mit den eigenen moralischen Maßstäben und verdammen in einem Atemzug beide, das kann soweit gehen, dem Autor vorzuwerfen, die Verbrechen und andere moralisch verwerfliche Handlungen zu verharmlosen, zu relativieren, zu rechtfertigen und der Nachahmung Vorschub zu leisten. Anderen hat das Lesen von Lolita die Antennen justiert, verführerische Schriften und Reden als solche besser zu erkennen. Das ist nicht das Thema im Roman „Der Fremde“. Camus ist in erster Linie Philosoph. Die Geschichte „Der Fremde“ thematisiert die Absurdität des Lebens und Wege, damit umzugehen.
Dem Fremden wird kurz vor dem Gang zur Guillotine nach einem Zornesausbruch gegenüber einem Geistlichen - endlich mal eine Emotion - klar, dass seine Mutter in der dunklen Atmosphäre des Altersheims, obwohl schon alles vorbei war, mit Perez einen neuen Anfang, „einen „Bräutigam“ genommen hat“, ein neues Leben gewagt hat. Brüderlich mit der Mutter verbunden, fühlt er sich bereit, wie seine Mutter neu anzufangen, den Stein auf den Berg zu rollen, wohl wissend, dass er wieder nach unten rollt, sobald er oben ist, aber in diesem Prozess, die Sinnlosigkeit zu überwinden.
Die meisten Menschen nehmen in sozialen Spielen mit der Empfindung teil, mit ihrem ganzen Körper, ihrer ganzen Persönlichkeit, ihrem Denken und Fühlen angenommen und wertgeschätzt zu sein. Diese Empfindung ist eine Illusion. Nur wenn wir uns im Spiel bewähren, dürfen wir weiterhin mitspielen. Haben wir keine Lust mehr, können wir uns vom Spiel abwenden. Wir können andere zu neuen Spielen einladen, das Spiel gestalten. Die anderen spielen nur solange mit, wie sie wollen oder solange wir sie dazu zwingen können. „Wir nehmen am Spiel teil“, „die anderen nehmen am Spiel teil“ ist schnell daher gesagt oder hingeschrieben. Wir interagieren im Spiel nur, auf die Interaktion kommt es an und darauf, was wir dabei empfinden. Die Empfindung gehört aber nicht zum Spiel. Mit unserer Empfindung sind wir zunächst allein. Natürlich können wir ein Spiel starten, indem wir unsere Empfindung mit jemandem teilen; und wahrscheinlich bereichert uns das neue Spiel. Vielleicht ist der Fremde am Ende an einem Punkt, an dem er gerne ein neues Spiel starten oder an einem Spiel teilnehmen würde.
P.S.: Es mag sein, dass ich einige Details der Handlung aus meiner Erinnerung falsch wiedergegeben habe. Ein Grund mehr, den Roman mal wieder zu lesen. Auch seine Wirkung verändert sich im Laufe der persönlichen Entwicklung.


