Triest, 30.08.2025
- rbr0303
- 9. Sept.
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Triest, 30.08.2025
Das Reiseziel Triest kommt den wenigsten in den Sinn, wenn sie an eine mehrtägige Städtereise in Italien denken. Venedig, Rom, Florenz, vielleicht sogar Mailand oder Neapel klingen weitaus verheißungsvoller.
Der Himmel ist bedeckt. Auf dem kurzen Weg vom James Joyce und Italo Svevo Museum zum Museo Revoltella fallen fette Regentropfen.
Wir spannen die Schirme auf und bleiben trocken.
Die Stadt Triest widmet den beiden großen Literaten des 20. Jahrhunderts eine kleine, feine Erinnerungsstätte und zeichnet darin deren Freundschaft und Leben in Triest nach. Wir lernen in der Ausstellung, dass sich auch andere große Literaten, manche vielleicht nur kurz, in Triest aufhielten.
Nach dem Jurastudium fing Kafka an, in der Prager Filiale der Assucurazioni Generali zu arbeiten; er versuchte, an deren Hauptsitz in Triest versetzt zu werden, lernte deswegen Italienisch, wie man liest. Offensichtlich wurde ihm ein Kollege vorgezogen; nach sechs Monaten verließ er die Generali und wechselte zur Arbeiter-Unfallversicherungs-Anstalt für das Königreich Böhmen in Prag. Zu mehr als kurzen Aufenthalten in Triest reichte es nicht. Vielleicht blieb die Stadt ein Sehnsuchtsort von ihm. Ich habe seine Tagebücher nicht gelesen. Wie hätte sich Kafkas Werk im warmen Triest, direkt am Meer, weit weg von der Familie entwickelt?
James Joyce arbeitete anfangs als Englischlehrer in Triest, unter anderem von Ettore Schmitz, der später den Namen seines Pseudonyms Italo Svevo annahm. Ettore Schmitz ging einem Brot- und Butterberuf in einer Bank in Triest nach, nachdem die Firma seines Vaters Konkurs angemeldet hatte. Joyce überredete Familienmitglieder, nach Triest zu ziehen, um sich Alltagssorgen vom Leibe zu halten, vielleicht um das Leben eines Bohemiens verwirklichen zu können. Die Entwicklung seiner Kunst verlangte Opfer und Freiräume.
Rilke steckte in einer Schaffenskrise, nachdem er den Roman „Die Aufzeichnungen des Malte Laurids Brigge“ beendet hatte. Gräfin Marie von Thurn und Taxis-Hohenlohe hatte ihn ins Schloss Duino eingeladen, wo er einige Monate verbrachte und währenddessen die Erste Dunineser Elegie schrieb; er besuchte wohl auch Kaffeehäuser in der Triester Altstadt. Ich kann es nicht bestätigen, obwohl wir das Caffè San Marco besucht und an vielen anderen vorbei geschlendert sind; ich fand keine Spuren, war nicht dabei. Vor mehr als hundert Jahren war ich nicht nicht einmal ein Versprechen meiner Eltern.
Keiner der Schriftsteller hatte großen literarischen Erfolg, während sie in Triest weilten und miteinander oder ganz einsam Kaffee genossen. Wie beeinflusste die Stadt, der Austausch untereinander, mit Verlegern, Verwandten und Bekannten in Triest und Umgebung ihr Werk und ihren Erfolg?
Ich mag dieselben Wege gegangen sein, dieselben Gebäude und Kaffeehäuser gesehen, vielleicht ihren Geist gesucht, aber nicht geatmet haben und vermochte mir doch das inspirierende, gesellschaftliche Klima Anfang des 20. Jahrhunderts nicht vorzustellen; ich versuchte es gar nicht.
Heute zieren Bronzestatuen in Lebensgröße der im Nachhinein berühmt gewordenen Autoren Straßen und Plätze. Leuchtet die erste Duineser Elegie heller, nachdem man dort gestanden hat, wo Rilke sie geschrieben haben soll? Fast will es mir beim Lesen so scheinen.
Von außen betrachtet, begegnen wir in Triest vielen imposanten Gebäuden wie dem Palazzo von Pasquale Revoltella. Betritt man die Gemächer, glaubt man, Gast in einem Schloss zu sein. Im Erdgeschoss steht eine schön rausgeputzte Kutsche neben dem Treppenaufgang. Auf jedem Stockwerk des Treppenhauses stehen Skulpturenensembles, an den Wänden hängen Kunstwerke, die Decken sind stuckverziert und häufig bemalt.
Der Mann muss steinreich gewesen sein; ob sein Homeoffice zu seinen Lebzeiten so ausgesehen hat, wie ausgestellt? Ich kann es mir vorstellen, es war einer der wenigen zugänglichen schlichten Räume im Palazzo. Revoltella hielt einen größeren Aktienanteil an der Suezkanal-Gesellschaft und wurde neben Ferdinand de Lesseps zum Vize-Präsidenten berufen.
Davor hatte der Metzgersohn und ehemalige Lagerarbeiter in Triest ein florierendes Handelsunternehmen aufgebaut, Versicherungen gegründet, in die Assucurazioni Generali investiert, wurde in dessen Verwaltungsrat berufen. Selbst eines beeindruckenden Bibliothekssaals mangelt es in den Gemäuern nicht. Als Kafka geboren wurde war Revoltella schon einige Jahre tot.
Seinen Nachlass vermachte Revoltella der Stadt Triest. Sein Palazzo sollte Kunstmuseum werden mit der Maßgabe, dass auch zeitgenössische Kunst angekauft werden sollte. In einem Anbau stellt die Stadt Triest denn auch impressionistische und expressionistische Werke aus dem 20. Jahrhundert bis hin zu Moderner Kunst aus. Ich weiß nicht, welche Werke der in den Stand eines Barons erhobene Revoltella zu Lebzeiten selbst erworben, ob er bereits in die Augen von Dante Alighieri geblickt hatte, wie es mir vergönnt war.
Man könnte Wochen im Palazzo verbringen, schauen und staunen und hätte doch nur einen Bruchteil dessen erlebt, was all die Kunstschätze verheißen.
Ich weiß nicht, ob die Sonne schien, als wir das Museum bereichert verließen, geregnet hat es nicht. Es war angenehm warm.


