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La Gomera - 09/2025 - Meine kleine Gedächtnisstütze

  • rbr0303
  • 6. Okt.
  • 7 Min. Lesezeit
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La Gomera - Ende September 2025 - Meine kleine Gedächtnisstütze


Das hätte ich vorher wissen sollen.


Die kleine Schwester der kanarischen Inseln erreicht man am besten mit der Fähre von Los Cristianos auf Teneriffa. Die Busfahrt zwischen dem Flughafen Teneriffa Süd zum Fährhafen dauert ungefähr eine halbe Stunde. Die Alternative, ein Flug von Teneriffa Nord oder Gran Canaria nach La Gomera, lässt das ohnehin schon geschundene Klimaherz noch mehr bluten. Wir erreichten mit dem in die Jahre gekommenen Mietwagen aus Puerto de La Cruz dank der guten Hinweisschilder glücklich den Fährhafen, konnten uns aber trotz einer Ehrenrunde nicht vorstellen, wo wir ihn abgeben sollten. Ich ging zum Schalter der Autovermietung und fragte nach. Die Autovermieter haben reservierte Parkplätze auf dem Parkplatz links vor dem Fährhafen. Das Parkticket übergibt man der Autovermietung im Terminal, wo man auch die Schlüssel abgibt. Gut, das wussten wir auf Nachfrage an der Quelle dann auch. Das Parken im Halteverbot blieb folgenlos. Wir hätten uns vorher auf YouTube, Tiktok, Instagram oder einem anderen Epizentrum des Wissens informieren sollen.


Ich weiß nicht, wie die Klimabilanz aussähe, wenn jeder Tourist mit dem eigenen Segelboot wie einst Christoph Kolumbus - auf dem Weg nach Indien - nach La Gomera reisen würde. Neben den Segelkenntnissen würde mir der Mut für solch ein Abenteuer fehlen. Seglern auf Langfahrt zolle ich daher großen Respekt. Im Hafen von San Sebastian stehen einige Boote, deren Flaggen auf eine längere Überfahrt hindeuten. Kolumbus und seine Führungsmannschaft hatten kein GPS, wussten aber immerhin, wo sich La Gomera befindet und wie man dorthin navigiert. Sextanten zur Bestimmung des Breitengrades standen Seefahrern erst im 18. Jahrhundert zur Verfügung. Wer setzte sich einem solchen Wagnis aus? Abenteurer, Verzweifelte, Glücksritter, Kriminelle, die der Strafverfolgung entgehen wollten? Wie sich im Nachhinein herausstellte, hatten die Seefahrer den magnetischen Kompass dabei, für einen moralischen fand sich auf den Schiffen kein Platz. Obwohl Aristoteles davon ausging, dass die Erde rund sei, dürfte das Unterfangen, Indien im Jahre 1492 auf dem Seeweg nach Westen zu erreichen, auf seiner Tugendskala eher Richtung Tollkühnheit ausgeschlagen haben. Kolumbus wusste noch nichts von der Barfußroute.


Auf der Traverse von Los Cristianos nach San Sebastian stellt man sich am besten auf Seegang ein. Der Wind blies nicht allzu heftig, trotzdem schaukelte die Fähre spürbar durch die meterhohen Wellen. Ich blickte im bequemen Sessel sitzend aufs offene Meer, das tiefe Blau des Wasser, den Horizont, in den blauen Himmel, auf die Rückseite des Vordersitzes oder den Tresen, wo man kleine Snacks, Bier oder Kaffee kaufen konnte. Ein Bildschirm warb für die einzelnen Produkte. Croissants und Donuts schaukelten lustig auf dem Display wie das Schiff auf den Wellen. Die Überfahrt dauert etwa eine Stunde. San Sebastian liegt im Südosten von La Gomera. Wind und Strömung kamen aus Nord bzw. Nordost, sodass die Fähre in ruhigem Fahrwasser in den Hafen einfuhr, den zudem eine lange Kaimauer gegen die manchmal - aus unserer Sicht - unbarmherzige See schützt.


Der Großteil der Stadt liegt an den Hängen eines Tals und oben auf einem Plateau. Die Häuser sind in unterschiedlichen Farben gestrichen, rot, gelb, ocker. Um diese Jahreszeit ist es im Süden der Insel trocken, die Landschaft karg, die meisten Sträucher nehmen die graue Farbe des verwitterten Vulkangesteins an; grünes Gras wächst nur im bewässerten Park, der um den Torre del Conde angelegt ist. Hohe Häuser, Palmen und andere Bäume spenden den Plätzen Schatten. Es waren nicht allzu viele Menschen an Bord der Fähre, sodass es nicht lange dauerte, bis wir wieder festen Boden unter den Füßen hatten. La Gomera strahlt Ruhe und Gelassenheit aus, die sich augenblicklich wohltuend auf unsere Seelen legten. Wir brauchten zu Fuß fünf bis zehn Minuten, bis wir einen Blick in die Innenstadt werfen konnten, weitere zehn bis zu dem kleinen, netten Ferienhäuschen, das orange gestrichen war und auf der anderen Seite des großen, in Stein eingefassten Flussbettes lag. Ohne GPS-Unterstützung hätten wir es nicht so schnell gefunden. La Gomera ist sehr zerklüftet und man kann auf der Brücke stehend ermessen, welch gewaltige Wassermassen sich bei starkem Regen in die Stadt ergießen würden, wäre da nicht das bei Trockenheit so sinnlos aussehende Flussbett.


Wir reisten mit leichtem Gepäck und verzichteten auf die Dienste eines Taxifahrers. Es brauchte keine zwei Minuten, bis ich ausgepackt hatte. In der Innenstadt fand sich ein kleiner Laden, in dem wir das Nötigste einkauften. Auf dem Rückweg vom Essen in einem der zahlreichen Restaurants - die meisten öffnen mittags und dann wieder nach 18.00 Uhr - nach einem ersten kleinen Stadtrundgang - auf digitale Unterstützung verzichteten wir -  fanden wir einen größeren Supermarkt, versteckt in einer Art Markthalle neben dem Busbahnhof. Die Sorge, dass man in der Fußgängerzone umgerannt wird, kann man in Teneriffa lassen. Ich wünsche der Insel, dass es so bleibt.


La Gomera soll dafür bekannt sein, dass sich dort Menschen mit alternativen Lebensentwürfen angesiedelt haben; einige sollen in Höhlen, andere in bescheidenen Behausungen leben. Als wir abends auf der Dachterrasse saßen, den Sonnenuntergang und den warmen Wind genossen, las meine Urlaubsbegleitung auf der Website von peace-love-om.de einen interessanten Artikel über eine weitgehend autonom lebende Gemeinschaft, die eine Finca bewirtschaftet, die wegen eines Erdrutsches seit Jahren keine Straße mehr mit dem Rest der Insel verbindet und zum Zeitpunkt der Veröffentlichung des Artikels auf der Website notgedrungen nur über eine Seeverbindung und einen selbst angelegten Pfad die nötigen Kontakte zur restlichen Insel pflegte. Die Unterstützung der Behörden ließe sehr zu wünschen übrig, liest man. Man kann dort bezahlten Urlaub verbringen oder sich der Gemeinschaft eine zeitlang oder auf unbestimmte Zeit anschließen, sofern man bereit ist, für Kost und Logis sowie ein Taschengeld 30 oder 36 Stunden (müsste ich nochmal nachlesen oder dort nachfragen) zu arbeiten. Dafür kann man auch die spirituellen Angebote nutzen, sich selbst besser kennenlernen und einen alternativen Lebensentwurf verfolgen. Ich kann mir vorstellen, dass das für den ein oder anderen Arbeitsplatzbesitzer- oder bewohner für eine gewisse Zeit eine willkommene Abwechslung von der geregelten Arbeitswelt sein kann. Wie man auf Dauer mit Taschengeld fürs Alter und schwerere Krankheiten vorsorgen wollte, erschließt sich mir beim ersten darüber Nachdenken nicht. Die Aufnahmekapazität der Finca dürfte selbst für Arbeitswillige begrenzt sein; nicht Arbeits- und Zahlungswillige dürften auf der Finca keinen Platz finden, weil Überschüsse nicht ausreichend erwirtschaftet werden können. Auf jeden Fall ist das ein interessantes Modell; ein Besuch und Gespräche mit den Bewohnern der Finca hätten sich sicher gelohnt.


Schon auf der Fähre sieht man viele (Deutsche) mit Wanderschuhen. La Gomera ist für Wanderer touristisch gut erschlossen und bietet viele zum Teil anspruchsvolle Wege und Pfade mit Atem raubenden Ausblicken auf Berge, Täler, Klippen, Meer, Nachbarinseln, Strände und im Norden eine recht üppige Vegetation. Zum Glück gibt es nicht viele und vor allem keine wirklich großen Strände zum Baden, sodass sich die Anzahl an Hotels und Ferienunterkünften (noch) in Grenzen hält. Schon der karge Südosten in San Sebastian erlaubte uns zwei schöne Wanderungen.


Über steile Treppen und Straßen erreicht man von der Stadtmitte aus ein Hochplateau, von dem man Teneriffa mit dem über 3.700 Meter hohen El Teide bewundern kann. Etwas außerhalb steht ein Leuchtturm auf einem Felsvorsprung. Vor dort aus fallen die Klippen steil ab; wenn man lange genug hinunterblickt und einen dabei der Wind nicht wegbläst, sieht man, wie die Brandung die Vulkanfelsen abschabt, Höhlen gräbt und die Gischt meterhoch in die Höhe spritzt. Der Weg führt entlang der Klippen nach Norden, bis man auf ein eingezäuntes Gelände kommt. In der Ferne steht eine Hotelanlage, sie sieht eher aus wie eine nicht fertig gebaute Hotelruine. Jetzt muss ich erstmal einkaufen; was die eigenen Felder hergeben, reicht zum Überleben nicht aus.


Von San Sebastian aus sieht man nach Westen schauend auf einem Berg eine weiß schimmernden Statue. Der Cristobal war unser erstes Zwischenziel auf der zweiten Wanderung zum Playa de la Guancha, ein sehr schöner Weg, die südliche Steilküste entlang. Neben dem Cristobal, der nicht ganz so groß ist wie die Christus Statue auf dem Corcovado, die über Rio wacht, steht ein verlassenes Restaurant, in den Berg hinein gebaut. Ich weiß nicht, ob es früher bewirtschaftet war. Der Weg zum abgelegenen Kiesstrand von la Guancha fällt vom Hochplateau steil ab, gutes Schuhwerk ist ab einem gewissen Alter unerlässlich. In der Bucht steht ein weißes Häuschen, das man mieten kann, wie mir jemand versicherte. Wo das Wasser herkommt und das Abwasser hin fließt, keine Ahnung; wie man Lebensmittel dorthin befördert, außer zu Fuß, dazu fehlt mir die Fantasie und Abfall liegt in der einsamen Bucht auch überall rum. Schade. Wir waren alleine dort und badeten im Meer. Herrlich.


Am nächsten Tag fuhren wir mit dem Bus nach Agulo. Schon vom Dorf aus sieht man den Mirador de Abrante. Wir folgten den Hinweisschildern und schauten ungläubig hoch. Man gewinnt den Eindruck, vor einer senkrechten Wand zu stehen. Wo soll da ein Weg sein? Wir sind keine Kletterer und hatten erst recht keine entsprechende Ausrüstung dabei. Um es vorwegzunehmen, der Weg ist bei trockener Witterung im Großen und Ganzen ungefährlich und gut abgesichert. Dafür geht man viele steile Treppen und Wegstücke hinauf. Es ist anstrengend. Man überwindet auf 1,7 km ein paar hundert Höhenmeter, bis man oben ankommt. Wer die Mühe scheut, wählt den Weg, den wir zurück nahmen. Die Aussichtsplattform ist aus Glas, man steht ziemlich weit über dem Abgrund und kann ziemlich tief blicken, falls man sich bis ganz nach vorne traut. Da muss der Verstand die Intuition überlisten, will man später ein cooles Foto von sich auf der Plattform auf Instagram posten. Der Rückweg nach Agulo führt kurz über eine Marslandschaft, wie Kommentare auf sozialen Medien versprechen. Nicht ganz, würde ich ergänzen, denn auf dem Mars wachsen keine grünen Büsche. Neben Teneriffa sahen wir dort oben immer mal wieder La Palma zwischen den Wolken auftauchen. Auf dem Weg nach oben und zurück nach Agulo trafen wir nur auf zwei andere Wanderer; den Mirador de Abrante kann man auf verschiedenen Wegen erreichen und vor allem auch über eine Straße mit dem Auto; davon machten die meisten Besucher Gebrauch. Wir können die Wanderung empfehlen, kein Schritt ist langweilig; ich empfehle beim Gehen auf den Weg zu schauen und die vielen bewundernswerten Aussichten, Flora und Fauna stehend zu bestaunen. In Agulo setzten wir uns zum Essen und Trinken auf die Terrasse einer Bar direkt an der Hauptstraße. Man freut sich, wenn ein Auto vorbei fährt. Kaum saßen wir, sahen wir einen Bus des öffentlichen Nahverkehrs auf unsere Haltestelle zufahren und blieben sitzen. In zwei Stunden kam ja schon der nächste.


Den Tag darauf verbrachten wir in San Sebastian, an den Stränden, schwimmend im Meer, in einer Strandbar Sonne, Wind, Schatten, die Aussicht, das Kaltgetränk und die Ruhe auskostend. Wir hätten nach Vallehermoso, zum Monumento Natural de Los Organos oder nach Valle Gran Rey fahren, dort wandern oder im Meer baden können. Doch danach stand uns an diesem Tage nicht der Sinn.


Wir ließen jeden Abend auf der Dachterrasse ausklingen und sanken danach in einen tiefen Schlaf, trotz der Belastung der Eingeweide durch Essen und Trinken.


Auf der Insel verkehren Busse, sodass man die meisten imposanten Orte mithilfe des öffentlichen Nahverkehrs erreicht. Dafür sollte man genügend Zeit einplanen. Die hatten wir nicht. Man kann die Insel auch gut zu Fuß erkunden. Knapp fünf Tage reichen für die Entdeckung eines unbekannten Kontinents nicht aus, wenn man die Seele nicht hetzen und Ruhe und Gelassenheit der Insel auf sich wirken lassen will. Das ist das einzige, was wir vorher hätten wissen sollen. Wenn der Essay beim Lesen keine Lust entfacht, nach La Gomera zu reisen, hat das lyrische Ich das Ziel erreicht, der Autor, wenn der Essay online ist und vielleicht sogar gelesen wird.

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