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Triest 01.09.2025 - Der Rilke-Weg

  • rbr0303
  • 13. Sept.
  • 4 Min. Lesezeit
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Triest, 01.09.2025 - Der Rilke-Weg


Der Gedanke, an einen kulturell aufgeladenen Ort zu pilgern, dem auch noch natürliche Reize nachgesagt werden, motivierte uns, aus der Komfortzone heraus die Strapazen einer Busreise auf uns zu nehmen. Wollte ich herausfinden, welchen Einfluss die Umgebung auf das Werk ausübt?


Beim Glockengießen spielen die Umgebungsbedingungen eine wichtige Rolle. Man muss sie im Produktionsprozess berücksichtigen. Bei anderen Herstellungsverfahren schließt man die natürliche Umgebung weitgehend aus; manch ein Lackierprozess oder die Chipherstellung erfordern gar einen Reinraum; der steht mir gerade nicht zur Verfügung; die natürlichen Gegebenheiten, die Natur auszuschließen, die Umgebungsbedingungen zu normieren, ist eine zutiefst menschliche Neigung, mit unabsehbaren Folgen für die Natur. Aber soweit dachte ich am 01.09.2025 nicht. Die Herausforderung bestand vielmehr darin, wie wir nach Duino gelangen sollten.


Mit dem Schloss Duino strebten wir den höchsten Punkt unserer Reise nach Triest an. Der Zug war keine Option. Im Bus konnte man keine Tickets kaufen, das ging nur online; die App des öffentlichen Nahverkehrs hatte nicht die allerbeste Bewertung und schnell wurde klar, warum. Damit musste sich Rilke nicht rumschlagen. Die Vermutung liegt nahe, dass er am Bahnhof von Triest eine Kutsche seiner Gönnerin bestieg.


Die Aufregung war kurz, es klappte schließlich; allerdings waren wir uns nicht sicher, ob wir ein gültiges Ticket gelöst hatten; Tage später herrschte die Gewissheit, dass zumindest das Fahrgeld abgebucht worden war; wir kamen - fahrplangemäß - nach einer knapp halbstündigen Fahrt die malerische Küste entlang - und gewiss schneller als Rilke-, in Duino an, stiegen aus und versuchten uns zu orientieren.


Duino, das alte Castello Duino und das Schloss Duino liegen auf einer Klippe, die an manchen Stellen in kleinere Badebuchten abfällt. Das Wasser ist klar, türkis, lädt zum Schwimmen ein. In Triest und Umgebung gibt es viele Strandbäder, die zwar Geld kosten, dafür aber mit Infrastruktur aufwarten. Manch ein Tourist wird in Triest und Duino Sandstrände vermissen, das klare Wasser wiegt den Nachteil mehr als auf. In der Bucht von Duino kann man wahlweise die Badeanstalt oder die Hafenmole als Badeplatz aufsuchen.


Das alte Castello, eher eine Burgruine, liegt einen Steinwurf weiter nordwestlich des neuen Schlosses. Der Himmel war wolkenverhangen. Wir ließen das alte Castello rechts liegen und stiegen wieder hinauf zum Schloss Duino. Es gehört einem Nachfahren der Familie Thurn und Taxis, Teile davon können besichtigt werden.


Das Handy klingelt plötzlich, laut, will gar nicht mehr aufhören. Ich nehme es in die Hand. Probealarm 2025. Die Sirenen fangen an zu heulen. Ich stehe auf und stelle den Lärm des Smartphones ab. Zum Glück sitze ich nicht im Flughafenterminal oder im Wartesaal eines Bahnhofs sondern zu Hause. Ich brauche einige Minuten, um mich wieder zu sammeln.


Der Schlossgarten und die Umgebung von Duino warten mit üppiger Vegetation auf. Von der Schlossmauer blickt man auf einen rechteckigen Teich, den einzelne Seerosen und eine kleine Skulptur in der Mitte schmücken, den Teich umgibt eine gepflegte Rasenfläche. Der Garten fällt zur Bucht hin ab. Ein Gärtner allein wird für das große Anwesen nicht ausreichen; Sträucher, Hecken, Büsche und Bäume sind geschnitten und gestutzt, die Blumenbeete gepflegt. Nur der obere Teil des Gartens steht Besuchern offen, der untere bleibt ein Geheimnis wie die versperrten Türen und Tore des Schlosses. Geheimnisse wecken die Neugier, die Phantasie, den Sensationslüsternen, den Voyeur.


Die Ausblicke von der Schlossmauer, von den Zimmern, Terrassen, dem Schlossturm auf die Buchten, die Klippen, den gepflegten Garten, Blumen, die wilde Natur, das türkis schimmernde Meerwasser, Triest, den endlosen Horizont, ließen meine innere Stimme erstmal verstummen. Im Schlossinneren zeugen Briefe, Fotos, Artefakte von zahlreichen, berühmten Besuchern und Bewohnern, wie Rainer Maria Rilke, Hugo von Hofmannsthal, Franz Liszt und all den Adligen im Dunstkreis der Familie Thurn und Taxis und des österreichischen Königshauses; Sissi kennt fast jeder.


Ich stehe auf der Terrasse, vor mir steht ein Tisch, am Geländer hängt das Schild, das leicht zu übersehen ist, wenn man bei schönstem Sonnenschein aufs Meer schaut.


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Edle Möbel, Tapeten, Decken, Stuck, die Kunstwerke an der Wand, Diener, die das Essen aufs Teller legen und Getränke in die Tassen und Gläser gießen, eine schöne Bibliothek, das Zimmer mit Aussicht, Hausmusik, könnte ich mir vorstellen dort zu wohnen oder auch nur dort Urlaub zu machen? Welchen Zwängen mag man dabei ausgesetzt sein, wenn man nicht gerade die Schlossherrin oder der Schlossherr oder der sich um nichts als um sein Ego scherende Künstler ist, welche Freiheiten mag man genießen?


Zum Anwesen gehört eine kleine Kapelle und ein Bunker, der im zweiten Weltkrieg ausgebaut und benutzt wurde. Wozu blieb nicht in meinem Gedächtnis haften. Es ist feucht und kalt in den Räumen; ich war froh, als ich wieder im Freien war.


Der Rilke-Weg führt vom Schloss Duino nach Sistiana, verläuft oben auf der Klippe, Bäume spenden Schatten und geben an vielen Stellen den Weg zu Aussichtspunkten frei, von wo aus der Blick über die kreidefarbenen Klippen, die Bäume und Sträucher, das Gras, das Grün, ins Hinterland, die Buchten, die Brandung, das Meer, den Horizont, die Schiffe schweift und entweder zurück am Schloss Duino, in Sistiana, dem Schloss Miramar, in Triest oder irgendwo dazwischen zur Ruhe kommt.


Rilke musste dem Panther in die Augen geschaut, ihn beobachtet haben, ehe er das gleichnamige Gedicht verfassen konnte. Ich weiß nicht, wo Rilke es geschrieben hat, sicher nicht im Jardin des Plantes. Wir wissen grob, wo er die erste Duineser Elegie geschrieben hat, ob auf der Terrasse, in seiner Stube und/oder auf dem Weg nach Sistiana, sicher nicht nur auf der Terrasse, vielleicht steht es in einem seiner Tagebücher.


Unweit von Sistiana steht ein Café auf der Klippe. Wir setzten uns auf die herrlich gelegene Terrasse, unter einen Sonnenschirm, genossen den Ausblick, den Blick auf die Bucht von Sistiana, die von oben betrachtet winzig wirkenden Boote, Segelschiffe, badenden Menschen und tranken ein kühlendes Getränk. Wie sich herausstellte, gehört das Café zu einem Campingplatz. Es stand noch nicht, als Rilke dort spazieren ging. Vielleicht ein anderes, ansonsten täte es mir leid um ihn.


Das Erleben wirkt nach. Orte prägen das Erlebte. Man nimmt es mit, wenn man sich an einen anderen Ort begibt, es treibt Blüten, lässt einen verzweifeln oder auch nicht. Den Tag in Duino, im Schloss, die Klippenwanderung empfand ich als großen Gewinn, ein Tag zum Erinnern.


Heute muss die Glocke werden, morgen fehlt mir dafür die Zeit, das Ambiente stimmt, wenn man von der kurzen Störung absieht. Auf dass die Glocke klinge und nicht so erbärmlich heult wie die Sirenen während des Probealarms; den werde ich nie wieder vergessen; obwohl er für meine persönliche Entwicklung bedeutungslos sein dürfte.

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