Teneriffa - Orotava und Teide Nationalpark - Auf Humboldts Spuren
- rbr0303
- 15. Sept.
- 4 Min. Lesezeit

Teneriffa - Orotava und Teide Nationalpark - Auf Humboldts Spuren
Das Display fordert mich auf, die Kupplung nicht zu betätigen, sie sei überhitzt. Das Öllämpchen blinkt im Techno Beat. Die Serviceanzeige leuchtet auf. Es geht nur bergauf, jede Ampel springt auf Rot, sobald wir uns ihr nähern; mein Herz schlägt schneller, ich bin hellwach, werde nervös, das Blut fängt an zu kochen. Ich trete die Kupplung, lasse sie kommen; es geht nicht voran; der Verkehr stockt. Endlich sind wir raus aus Puerto de la Cruz, die Meldung, dass die Kupplung zu heiß wird, erscheint nicht mehr, ist verschwunden, ich kühle mich ab, mir fällt ein, worüber ich nicht gebiete, zu spät, aber immerhin.
Wir folgen im Kreisel dem Schild Orotava Historisches Zentrum; die Straßen werden immer enger. Wir suchen einen Parkplatz. Das historische Zentrum ist zu klein für die vielen Autos; ach, hätten wir doch den Bus genommen; wir drehen ein, zwei Ehrenrunden, in der Hektik kann ich das nicht so genau beurteilen, aber alles kommt mir bekannt vor; wir kommen irgendwo unweit des Zentrums zum Stehen. Es pressiert. Nach drei- bis vierhundert schnellen Schritten finden wir eine nette Bäckerei. Wir treten ein, noch rechtzeitig, trinken Americano und essen ein Croissant zur Beruhigung. Eine Polizeistreife betritt das Café, eine Beamtin und zwei Beamte der Policia Local bestellen am Tresen und reden vertraut mit Gästen. Kaffeepause, wir haben nichts falsch gemacht.
Alexander von Humboldt ließ sich mehr Zeit, die Stadt zu erkunden als wir. Der Mirador de Humbold erinnert an ihn. Er bestieg den Teide und vermaß ihn, erforschte die Vegetationszonen, Flora und Fauna des Orotava Tals, das wir in Anbetracht der tief hängenden Wolken nur erahnen konnten. Viele Villen und Herrschaftshäuser, die teilweise zu besichtigen sind, zeugen vom Reichtum oder einstigen Reichtum der Stadt. Die Küste in Puerto de la Cruz ist rau, da bot das fruchtbare Orotava Tal Schutz und eine viel versprechende Lebensgrundlage für die Eroberer. Vor vierhundert Jahren kamen keine Touristen und Rentner zum Überwintern, keine Schiffe mit Nahrungsmitteln und den Annehmlichkeiten der Zivilisation. 1799 kam Humboldt in wissenschaftlicher Mission auf dem Weg nach Südamerika hier an.
Wer mit dem Auto von Puerto de la Cruz zum Teide fahren will, falls er es überhaupt aus der historischen Altstadt von Orotava schafft, folge am besten der TF-21 und verlasse sich nicht auf die digitalen Dienste wie wir, denn ziemlich schnell ist das Datenvolumen verbraucht und irgendwann werden die Straßen so eng und steil, dass man sich auf den Wanderwegen des Tals wie ein Fahranfänger vorkommt. Mit Gegenverkehr ist immer zu rechnen. Wir können empfehlen, die überaus reizvolle Landschaft und Natur zu Fuß zu genießen, mit dem Auto hatten wir keinen Spaß; erst jetzt im Nachhinein, wissend, dass wir die TF-21 unbeschadet irgendwie wieder erreichten, fühlt sich die Abkürzung, die uns wie durch ein Wunder wieder an die Kreuzung führte, an der wir von der TF-21 links abgebogen waren, wie ein kleines Abenteuer an; falls ein Ortskundiger, eine Bewohnerin, ein Landwirt oder eine Ferienhausbesitzerin des Orotava Tals diesen Essay jemals lesen sollte, hat sie oder er wenigstens einen Grund zu schmunzeln.
Die TF-21 ist eine gut ausgebaute Straße. Auf 1.000 Meter Höhe durchbrachen wir die Wolkendecke, die Sonne schien. Es sind nur 33 km von Puerto de la Cruz zum Teide. Wie viele Tage Humboldt mit all seinen schweren, wissenschaftlichen Geräten benötigte, mit welchen Verkehrsmitteln er sich fortbewegte, da müsste ich in Andrea Wulfs gelungenem und spannend zu lesenden Werk „Alexander von Humboldt und die Erfindung der Natur“ nachschlagen. Doch das habe ich in Puerto de la Cruz nicht zur Hand und ein LLM will ich deswegen nicht bemühen. Wir durchquerten auf der kurzen Strecke viele Vegetationszonen; wir sahen kurz vor der Baumgrenze ganze Felder mit verkohlten Pinien und Kiefern.
Unser Plan sah nicht vor, an diesem Tag in den Teide Nationalpark zu fahren, wir wollten in La Caldera zu einer dreistündigen Wanderung aufbrechen, ohne Höhenmeter und Barometer versteht sich. Das GPS des Smartphones hätte für unsere Zwecke ausreichend genaue Daten über unsere aktuelle Höhe geliefert; wir hätten keinen Sextanten gebraucht, um unsere Position im Weltall zu bestimmen; Humboldt hätte ein Smartphone auf jeden Fall mitgenommen. Der Luftdruck interessiert die breite Masse der Menschen nicht; eine Integration der Funktion ins Smartphone wird es nicht geben. Und doch, mit den heute verfügbaren Geräten hätten Humboldts Träger, Esel oder Pferde und vor allem er und sein Begleiter weniger Gewicht den Teide hoch zu schleppen gehabt; und er hätte sein Reisebudget schonen können; zur Erinnerung: Humboldt finanzierte die Expedition aus eigener Tasche, nachdem er sein großzügiges Erbe angetreten hatte, wie wir die unsere auch.
Wir können davon ausgehen, dass er an die Vermarktung der wissenschaftlichen Erkenntnisse und der erlebten Abenteuer in Form von Büchern zumindest in einem Hinterstübchen seines Gehirns bereits dachte, bevor er aufbrach; doch Selbstmarketing trieb ihn nicht an. Gestern Abend sahen wir zwei Influencerinnen, wie sie angestrengt ihr Essen fotografierten - wahrscheinlich, bis es endlich kalt war. Auf dem Weg zurück von der Seilbahnstation des Teide nach Puerto de la Cruz sah ich Personen an Aussichtspunkten posieren. Was motivierte uns, den Nationalpark zu besuchen? Auf Humboldts Spuren waren wir nicht unterwegs, wir dachten nicht an ihn und bis zum Gipfel schafften wir es auch nicht. Aber den Teide muss man gesehen, vor allem fotografiert haben.
Ich kann im Orotava Tal und im Teide Nationalpark empfehlen, die Augen zu öffnen, das Smartphone manchmal in der Tasche stecken zu lassen, die Lavaskulpturen oberhalb der Baumgrenze zu bewundern, vielleicht Fabelwesen darin zu suchen, die üppige Natur auf dem Weg zum Gipfel zu bestaunen. Wie die Natur menschengemachte Verwüstungen übersteht, indem sie selbst verkohlte Kanarische Kiefern zu neuem Leben erweckt, ihnen grüne Triebe schenkt, weitet empfänglichen Wesen das Herz.
Erst abends dachte ich an Andrea Wulfs Buch über Humboldts Leben, über Humboldts Reise nach. Die Erinnerung machte das Erlebte lebendiger. Wie ist das möglich?


