El Cotillo - Faro del Tostón - Majanicho
- rbr0303
- 13. Apr.
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El Cotillo - Faro del Tostón - Majanicho
El Cotillo blickt auf eine bewegte Geschichte zurück. Im 17. Jahrhundert beherbergte der Ort einen bedeutenden Hafen, den der Wehrturm von Tostón vor Piratenangriffen sichern sollte, der Handel verlagerte sich wegen der vorgelagerten Riffe und der damit verbundenen schwierigen Einfahrt auf andere Häfen der Insel. Es blieben Fischerboote, die man heute noch sieht, wenn man von den Klippen in den kleinen Hafen blickt. Südlich des Hafens steht immer noch der Wehrturm und daneben ein Walskelett. Der Blick nach Süden, die Klippen entlang ist atemberaubend. Ein Sandstrand erstreckt sich bei Ebbe kilometerlang, bis man in der Ferne wieder Felsenklippen zu erkennen glaubt. Soweit bin ich zu Fuß allerdings noch nie gekommen.
Heute verkleinerte die Flut den bewachten Badestrand. Baden waren nur die Gefahrensuchenden, die Flagge war auf rot gehisst, mehr als einmal hörte ich das Pfeifen der Lebensretter des roten Kreuzes, die das Treiben der wenigen Badegäste und der zahlreichen Surfer beobachteten. Obwohl der Wind für mein Empfinden kräftig aus Nordwest wehte, waren die Wellen zum Surfen wenig geeignet, es waren nach meinem Empfinden eher Anhänger des Sport am Anfang ihrer Karriere unterwegs. Allzu hoch waren die Wellen nicht und auch nicht lang, viel zu schnell brachen sie, sodass ich nur zwei oder drei gelungene Wellenritte bewundern konnte. Der Himmel war bedeckt, schlechtes Wetter nahte. Wenig später regnete es hauchzarte Tropfen für mindestens eine Minute, ich war schon im Dorfkern spazieren, der sich um eine schöne natürlich Bucht schlängelt und zum Ufer hin abfällt. Ein Regentag auf Fuerteventura. Wenig später schien wieder die Sonne.
Der Faro del Tostón gehört zu El Cotillo und ist über zwei Straßen von Cotillo aus erreichbar. Der Leuchtturm steht nicht draußen im Meer wie im Roman von Virginia Woolf. Familien könnten ihn auch mit dem Fahrrad oder zu Fuß ohne größere Planung erreichen, selbst missmutige Kinder und Halbwüchsige fanden sich mit den Eltern dort ein. Der Faro del Tostón signalisiert Schiffen die nahegelegene Meerenge zwischen Fuerteventura und Lanzarote. Die Wellen brechen sich für mein Auge schwer berechenbar, fallen übereinander her. Jedes Jahr treffen sich enthusiastische Kajakfahren und paddeln einmal rund um die Insel, also auch um dieses Kap.
Vom Leuchtturm aus bieten sich zwei kleine Spaziergänge an, einer in südwestlicher Richtung und der andere in südöstliche Richtung. Im Westen klatschen die Wellen gegen die Lavaküste, vorgelagerte Riffe lassen sie mehrfach brechen, bevor das salzige Meerwasser auf die Küste brandet. Ich habe den irren Eindruck, das Wasser bewege sich mit der Geschwindigkeit der Wellen von weit her auf die Küste zu, obwohl ich weiß, dass es nicht so ist. Es bilden sich zahlreiche Schaumkronen bis weit ins Meer hinaus und ich fragte mich, während ich auf einer Bank saß, welchen Abstand die Kajakfahrer am besten zur Küste halten, wenn sie das Kap passieren. Aber das war einer der wenigen Gedanken, die in meinem Bewusstsein während der zwei kleinen Spaziergänge auftauchte. Wenn ich aufs Meer blicke und der Brandung lausche, bleibt die Zeit stehen, sie wird bedeutungslos.
In östlicher Richtung liegt eine Bucht, in der an diesem Tag keine Kitesurfer, Windsurfer oder Wing Foiler ihrer Leidenschaft nachgingen wie letztes Jahr. Ich sah Angler, Sonnenanbeter, das Wohnmobil stand in der Nähe und sogar die ein oder andere Pflanze, ansonsten liegt hinter der Bucht die Wüste und die erloschenen und zum Großteil vom Wind abgetragenen Vulkane. Es sieht so aus, als wäre ein Wohngebiet in der Gegend geplant gewesen, die unmotiviert die Straße säumenden Straßenlaternen legen die Vermutung nahe. Die unerbittliche Natur wird weniger Zeit benötigen, die menschlichen Zeugnisse verschwinden zu lassen als die Vulkankegel.
In El Cotillo sprießen neue Gebäude in die Höhe und in die Breite, an vielen Stellen wird gebaut, dem Charme des Ortskerns mit den alten Fischerhäusern tut das noch keinen Abbruch. Einige sind weiß mit blauen Fensterrahmen, wie man das erwartet, niemand verhungert und verdurstet im Ortskern, sofern sie oder er bezahlen kann. Ob der Fisch, den die Fischerboote im kleinen Hafen auf ihren Fahrten aufs Meer einholen, in den Restaurants serviert wird, weiß ich nicht. Ich stelle es mir in einer romantisch angehauchten Anwandlung so vor. Bekannt ist El Cotillo als Hot Spot für Wellenreiter. Die See ist rau und wild, die Küste wartet aber auch mit vielen kleinen und milden Buchten und Stränden auf, die leider längst kein Geheimtipp mehr sind.
Auf dem Rückweg von El Cotillo nach Corralejo bog ich in Lajares nach Norden ab. Majanicho ist ein Fischerort, der weder ans öffentliche Strom- noch ans Wassernetz angeschlossen ist. Deswegen stehen dort wirklich nur Fischer- und keine Ferienhäuser. Nun vielleicht werden die Fischerbehausungen inzwischen überwiegend als Zweitwohnsitze genutzt - keine Ahnung - jedenfalls erwecken sie den Eindruck, als wären sie weitgehend im ursprünglichen Zustand belassen. Dass die Behausungen Komfort böten, ist von außen nicht zu erkennen. Dadurch wirkt der Ort idyllisch, wenn da nicht die vielen Autos und Autofahrer wären, unter anderem ich an diesem Tag, die vorbeifahren oder halt machen wie ich, um die Aussicht zu genießen oder Wassersport zu treiben.
Von Majanicho führt eine Piste entlang der Nordküste nach Corralejo. Ich empfehle das Fahrrad für diesen Streckenabschnitt und nicht das Auto, nur so erlebt man die Elemente und hält allein schon aus Erschöpfung an, wenn der Wind mal wieder zu heftig ins Gesicht bläst. Der Ausblick auf Wellen und Brandung entlohnt jede Anstrengung. Ich ließ mich auf dem Kiesstrand bei Majanicho nieder, auf den rund geschliffenen kleinen Lavasteinen, um es genauer zu formulieren. Die gaben die über den Tag gesammelte Wärme ab, das war so angenehm, dass ich den Wing Foilern und Kitesurfern länger zuschaute, als beabsichtigt. Nachdem ich wieder zu mir gekommen war, fuhr über Lajares nach Correlejo zurück.
Unlängst fiel mir eine Zeitschrift in die (virtuellen) Hände, die sich die Aufgabe auferlegte, Wege zum Glück aufzuzeigen. Die Geistesgeschichte wird in den einzelnen Artikeln kaum rezipiert. Wenn man sich all die Zeitschriften und Bücher vor Augen führt, die Glücksrezepte vorstellen, könnte man meinen, man könne Glück kaufen. Fällt uns das größte Glück in den Schoß, wenn wir uns auf den Weg nach El Cotillo machen und die Götter es gut mit uns meinen? Auf Lanzarote gingen zur gleichen Zeit sintflutartige Regenfälle nieder. Infolgedessen wälzten sich Schlammlawinen ins Meer, wie ich tags darauf erfuhr. Ich bin niemand, der hedonistische Glücksereignisse, geistige und mentale Orgasmen oder orgiastische Erlebnisse auf einer goldenen Perlenschur auffädelt, um sie dann als Kette um den Hals tragen zu können. Doch dazu bald mehr.
Wittgenstein kam mir in den Sinn. Im Tractatus logico-philosophicus schreibt er: Die Grenzen meiner Sprache bedeuten die Grenzen meiner Welt. Und: Wovon man nicht sprechen kann, darüber muss man schweigen. Das ist Unsinn und doch wieder nicht. Der Versuch die logischen Zusammenhänge im Tractatus nachzuvollziehen musste scheitern, weil mir inzwischen der Biss dazu fehlt und ich mich in meinen verbleibenden Tage lieber anderen Beschäftigungen hingebe. Dass das Vorhaben angesammelte Plaque in meinen Synapsen wegspülen könnte, darüber habe ich noch nichts gelesen. Vielleicht entstünden neue Neutronennetze oder lange nicht genutzte würden reaktiviert. So erspare ich mir die logische Akrobatik und die letzte Stufe der Leiter, die Wittgenstein nach all der Anstrengung für 16 Jahre als Philosoph verstummen ließ, er entdeckte bei seiner Übung nebenbei Die-versunkene-Kostenfalle. Meine sprachlichen Fähigkeiten reichen jedenfalls nicht aus, alle Wahrnehmungen und Empfindungen auf der Tagesreise nach El Cotillo auszudrücken und meinen Mitmenschen aufzufächern. Es bleibt immer die Lücke, zum Glück.


