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Bahn fahren

  • rbr0303
  • 19. Jan.
  • 3 Min. Lesezeit

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Man könnte gedankenverloren und bedenkenlos über die Gleise schreiten. Wo bin ich? Auf einem deutschen Bahnhof zur fahrplanmäßen Abfahrtszeit der nächsten S-Bahn, die mir ein Large Language Model auf meinen Prompt hin genannt hat. Bitte lesen Sie das nicht als Aufforderung, ich spitze die Erfahrung der letzten Jahre nur etwas zu. Aber worum muss das so sein?


Neulich stieg ich in einer deutschen Stadt in eine S-Bahn. Sie fuhr pünktlich ab, was mich überraschte, ich fand gerade noch einen Sitzplatz, setzte mich, inzwischen regt sich kein schlechtes Gewissen noch eine andere innere Regung mehr, die mich auffordert aufzustehen, wenn ich ältere Menschen im Gang stehen sehe, dafür belastet das Spiegelbild, das nicht zur Vorstellung meines Äußeren passen will, mein Gemüt, nur manchmal, aber dann so, als sähe ich den Zustand der deutschen Gleise im Spiegel.


Nach zwei Minuten gelangten wir planmäßig zur nächsten Haltestelle. Dort stand die Bahn nach meinem Empfinden wesentlich länger als vorgesehen, die Mitreisenden nahmen die Verzögerung ausdruckslos zur Kenntnis. Endlich setzte sich der Zug in Bewegung, nur um nach fünf Minuten, auf halber Strecke zur nächsten Haltestelle, wieder zum Stehen zu kommen. Mein Missmut, der nach 15 Minuten Stillstand und ohne Information, worin das Problem lag und wie es weitergehen sollte, in mir aufstieg, schien zum Glück nicht ansteckend zu sein. Ich blickte in unbewegte Mienen, als sich die Bahn wieder in Bewegung setzte, allerdings in die falsche Richtung, wir fuhren ganz langsam rückwärts, vielleicht hatte ich als einziger für die Fahrt bezahlt.


Ich konsultierte die App, auf der ich die Fahrkarte gekauft hatte, das geht immerhin über das smartphone. Vielleicht war ich einfach zu blöd dazu, aber ich konnte keine Information finden, was das Problem sei und wie es weitergehen würde. Als wir im Hauptbahnhof einfuhren, wo wir herkamen, sagte der Zugführer oder wer auch immer über den Lautsprecher, dass es ein Problem auf der vorgesehenen Strecke gäbe, der Zug eine andere Route fahren und an meiner Haltestelle nicht vorbeikommen würde. Wir sollten aussteigen und entweder auf Schienenersatzverkehr warten oder die nächste Bahn nehmen, vielleicht wäre die ursprüngliche Strecke ja dann wieder befahrbar.


Ich gebe zu, dass ich den öffentlichen Nahverkehr nicht oft nutze, aber wenn, dann erwischt mich nicht selten eine Störung im Winter kalt und im Sommer heiß, so als sei der öffentliche Nahverkehr mit mir in die Jahre gekommen. Nachts kann man die Bahnen guten Gewissens nur gut ausgebildeten Mixed-Martial-Arts Kämpfern empfehlen, nicht aber jungen Frauen und schmächtigen Jünglingen oder gebrechlichen Alten. Ich bin mir sicher, dass die Bediensteten das Beste aus der misslichen Lage heraus holen, sieht man von dem einen voll trunkenen Fahrer ab, der letztes Jahr ohne Halt in vollem Tempo zur Endhaltestelle oder sonst wohin gefahren ist. Aber da muss man schon besonderes Pech haben, wenn man in solch einem Zug sitzt, denke ich so vor mich. Es ist ja dann auch gut ausgegangen. Vielleicht war es eine Sonderfahrt ohne Gäste, ich weiß es nicht.


Schade! Öffentlicher Nahverkehr ist grundsätzlich eine gute Idee. Und früher war tatsächlich alles besser in Bussen und Bahnen. Wenn man nichts Besseres vorhat und kein Problem damit hat, angehustet und angeniest oder angepöbelt zu werden, letzteres sind gewiss seltene Einzelfälle, fällt es leicht, die Unbilden der Natur mit stoischer Ruhe auszusitzen. Was muss also geschehen, damit der öffentliche Nahverkehr zu einem weitestgehend sicheren, verlässlichen Transportmittel wird oder ist das ein völlig aussichtsloses Unterfangen? Es reicht sicher nicht aus, ein LLM zu befragen.


Ein Zielbild und eine nüchterne, emotionslose Problem- und Ursachenanalyse wären ein Anfang, selbst wenn sich dafür die 598 Kompetenz- und Entscheidungsträger in Bund, Ländern und Gemeinden und bei den Betreibern, am besten mit Kunden, zusammensetzen müssten. Soziale Subsysteme der Gesellschaft interagieren nicht miteinander, das wissen wir spätestens seit …. Ich würde das ja selbst in die Hand nehmen, rege mich aber jedes Mal lieber kurz darüber auf und widme mich, zu Hause angekommen, angenehmeren Dingen.


Wenn sich sonst niemand findet, müssen wir auf die künstliche Superintelligenz hoffen, die uns Tech Gurus vollmundig versprechen, mit dem für sie angenehmen Nebeneffekt, dass Unsummen in ihren Unternehmenskassen landen, gut, leider nicht für den Anwendungsfall Öffentlichen Nahverkehr, wie wir ihn kennen. Das Kapital oder eine künstliche Superintelligenz, die erfolgreich Selbstbewusstsein entwickelt haben wird, wird vielleicht eher in selbstfahrende Autos für Besserverdienende investieren. Für die Umwelt wäre es besser, wir blieben zu Hause, anstatt mit glühenden Köpfen zusätzlich Hitze zu generieren.

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