Mèze
- rbr0303
- 7. Juni
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Mèze
Das Wasser im Étang de Thau schmeckt salzig, wie die Austern, die unweit des Ufers gezüchtet werden. Das Binnengewässer ist nur über enge Wasserschneisen in Sète und Marseillan mit dem Mittelmeer verbunden und wenn man das so sagen mag, über den Canal du Midi mit dem Atlantik. In Mèze laden kleine Strände zum Baden ein. Das Schwimmen scheint ungefährlich zu sein, selbst bei windigem Wetter dürften die Wellen nicht furchterregend hoch werden, von lebensbedrohlichen Unterströmungen habe ich weder gehört noch gelesen. Der Étang de Thau ist mit durchschnittlich acht Metern der tiefste „Teich“ in Südfrankreich, Baggerseen in der Rheinebene sind viel tiefer.
Eine kurze Wegstrecke von der Bushaltestelle entfernt lag der See, still, die Wasseroberfläche waberte kaum merklich. An den Straßen, die den rechteckigen Hafen der Innenstadt säumen, reiht sich ein Restaurant an das nächste. Der Hafen erweckte den Eindruck einer Sackgasse für Motor- und Segelboote. Festgezurrt liegen sie da, ich kann mir vorstellen, dass Hunde in Tierheimen öfter ausgeführt werden. Vielleicht fährt mittags einfach niemand raus.
Die Altstadt ist pittoresk, enge Gassen, alte Häuser hübsch renoviert, hier und da Blumen, ich fühlte mich wohl, während ich durch die Stadt schlenderte. Unweit des Hafen entdeckte ich eine Markthalle, viel kleiner als in Sète, aber genauso lebhaft. Die Händler bauten die Stände in der Halle und auf dem Marktplatz gerade ab, während Besucher an einem Stand in der Halle noch aßen, tranken und laut miteinander schwatzen, als würde jeder jeden kennen. Mittagspause. Ich gönnte mir einen Café und ein Croissant vor einer Bäckerei.
Beim Stadtrundgang entdeckte ich die Église St. Hilaire, die schon einige Jahrhunderte in Mèze steht, als wäre sie für die Ewigkeit erbaut worden. Unsere Gedanke reichen heutzutage kaum über die nächstfolgende Generation hinaus, wenn überhaupt, die meisten beschäftigen sich in Europa nur mir der eigenen Altersvorsorge. Kann man Wein und Austern genießen und den Bau einer Kirche für die Ewigkeit konzipieren, die Ressourcen dafür aufbringen, damit anfangen, selbst wenn man sich dabei bewusst wird, dass man die Vollendung des Baus nie erleben wird?
Ich kam an einem Schloss mit einem kleinen Park vorbei, dem Chateau de Girard. Es gehört heute der Stadt Mèze, wie ich später im Internet erfahren habe. Ich fand keinen öffentlich zugänglichen Eingang. Mit den nach dem Lesen von Kafkas Schloss ins Unterbewusstsein abgesunkenen Erfahrungen suchte ich schnell das Weite, obwohl ich meinem Ziel näher kam als Kafkas K..
Wasser zieht mich magisch an. So folgte ich der für Fußgänger und Radfahrer schön angelegten Uferpromenade in westlicher Richtung, vorbei an Segelbooten, Segelschulen, dem Gelände eines Kajakclubs, verweilte des öfteren kurz, während ich auf das ruhige Wasser, die Austernbänke und das einige Kilometer entfernt liegende Sète schaute, bis ich in ein Vogelschutzgebiet mit üppiger Vegetation kam. Der angenehme Geruch faulenden Seetangs stieg mir in die Nase, ich blickte auf die saftig grünen Weinreben in den sanft ansteigenden Hügeln im Norden und Westen der Stadt. Eine längere Wanderung hätte sich angeboten, doch ich ging zurück in die Stadt, mein Blick schweifte im Vorbeigehen über die verschlafenen Häuser, ich will mir den Trubel in der Stadt im Juli und August lieber nicht vorstellen.
Als Aristoteles die nikomachische Ethik verfasste, lag Mèze am Mittelmeer, Sète war eine vorgelagerte Insel, wie man aus den Medien weiß. In 2000 Jahren mag das Meer Mèze verschlungen haben, von den nahen Hügeln betrachtet, wird nur noch die Spitze des Mont Saint-Clair mit der kleinen Kapelle Notre-Dame-de-la-Salette de Sète aus dem Wasser ragen, ein mögliches Zukunftsszenario, das ich ebenfalls den Medien schulde. Ob wir in 2000 Jahren ChatGPT oder eine andere KI Plattform noch fragen können, wie die Menschen in der Vergangenheit gelebt haben, wie die Welt ausgesehen hat, wird es uns noch interessieren?
Die kleinen Sorgen sind immer die größten. Ich freue mich auf Morgen, das köstliche Essen in den Markthallen, den Wein, den salzigen Geruch des Meerwassers in der Luft, die Sonne, den Schatten, die leuchtenden Farben, das Blau.


