Gedanken zu „Call of Duty Warzone - Battle Royal“
- rbr0303
- 23. Juli
- 7 Min. Lesezeit

Gedanken zu „Call of Duty Warzone - Battle Royal“
Wer in meinem Alter an Videospiele wie Call of Duty Warzone denkt, dem fallen grenzenlos verwirrte Jugendliche ein, die an Schulen Massaker anrichteten und zuvor nachweislich Ego-Shooter Spiele konsumiert haben. Zu beurteilen, ob solche Spiele die Psyche junger Menschen gefährdet, sie im realen Leben gewaltbereiter machen, will ich der Wissenschaft überlassen. Es gibt dazu bereits zahlreiche Studien.
Die Bundeszentrale für politische Bildung schreibt dazu: „Die bisherigen Forschungsergebnisse besagen, dass es keinen einfachen und allgemein gültigen Zusammenhang zwischen dem Konsum von Gewaltdarstellungen und realer Gewalt gibt. Das heißt: Nicht jeder, der Computerkriegsspiele spielt, wird auch – gleichsam automatisch – gewaltsamer. Dennoch ist mit gewalthaltigen Spielen wohl ein gewisses Risiko verbunden, beim Spieler reale Gewalt auszulösen oder zu verstärken. Die alleinigen Verursacher problematischen und gewalttätigen Handelns sind die Spiele aber nicht. So ist ein hoher Konsum gewalthaltiger Medienangebote häufig umgekehrt ein Anzeichen für problematische Lebenssituationen und aggressive oder gewalttätige Rollenmodelle im Umfeld der Jugendlichen.“
Niemand sollte über ein Buch schreiben, das er nicht gelesen hat. Trotzdem findet man Meinungen über Bücher, gar Buchrezensionen von Menschen, Bots und KIs, die die Werke nur vom „Hörensagen“ kennen, sehr häufig in Sozialen Medien. Mit dem Essay über Call of Duty Warzone Battle Royal betrete ich somit Neuland, bekenne mich schuldig, reihe mich ein in die Phalanx der Scharlatane. Für die Aspekte, die ich in diesem Essay beurteilen will, ist es aber aus meiner Sicht nicht nötig, dass ich Call of Duty selbst gespielt habe. Als Quellen meiner Recherche nenne ich freimütig das Interview, das ich mit einem Spieler geführt habe und die Unterhaltungen mit Copilot. Auf der Website des Produzenten bzw. Vertreibers fand ich keine hilfreichen Informationen.
Mich interessierte, was das Spiel für meinen Interviewpartner zur Zeit so unwiderstehlich macht, ich konnte mir die Faszination nicht erklären. Mein Wissen beschränkte sich darauf, dass der Spieler in eine Rolle schlüpft und feindliche Kämpfer mithilfe eines definierten Waffenarsenals eliminiert, tötet, kalt macht. Hinter den eliminierten Figuren stehen andere Spieler, man spielt in Teams oder allein, über hundert Personen aus aller Welt schlüpfen anfangs in Kampfausrüstungen und lassen sich in der Arena, einer fiktiven Stadt, absetzen. Die Überlebenden gewinnen das Spiel. Man agiert jenseits von Gut und Böse. Es sind keinerlei moralischen Dilemmata zu lösen, Politik spielt bei Call of Duty Warzone - Battle Royal, auf das ich mich hier beziehen will, wie bei Mensch-Ärgere-Dich-Nicht keine Rolle. Über Headset kann man sich mit Teamkollegen, das sind meist Freunde, die man seit langem nicht gesehen hat und sich gerade an irgendeinem anderen Ort auf der Welt aufhalten oder dort leben, über dies und jenes reden und schwätzen, auch bzw. hauptsächlich über Themen, die nichts mit dem Geballere zu tun haben.
Als ich im Alter des Interviewten war, gab es keine hochauflösenden Grafikkarten, mit deren Entwicklung und Vermarktung Nvidia und andere Unternehmen groß und deren Aktionäre stinkreich geworden sind, falls das Aktienpaket groß genug war. Heute findet die Technologie oder Weiterentwicklungen davon in Rechnern Anwendung, auf denen KI Programme laufen. Ohne die Gamer Community wüsste die breite Öffentlichkeit bis heute nicht, wo und wie künstliche neuronale Netze ihre Bequemlichkeit maximieren, welche Effizienzen sich mit dem Einsatz der neuen Technologie realisieren lassen, dass Umwälzungen in der Arbeitswelt zu befürchten, zu erwarten sind, erhofft werden dürfen, anstatt der derzeit grassierenden Phantasie an der Börse hätte sich längst Ernüchterung breit gemacht (Stand 23.07.2025). Vielleicht lachen Spieler in zwei Jahren über die Qualität der Videospiele heute, weil sie dann von realen Schauspielern in Filmen, die Spielszenen überhaupt nicht mehr von Spielfilmszenen zu unterscheiden sein werden. In einer Spiegelbox empfinden wir Berührungen am Arm in der Spiegelbox, obwohl der gar nicht berührt wird, nur weil wir im Spiegel sehen, wie der andere Arm berührt wird. Ziel der Entwickler muss es sein, das Spiel so realistisch zu gestalten, dass sich der Spieler mit allen Sinnen im Spiel wähnt und Realität nicht mehr von virtueller Realität unterscheiden kann. Wenn ich über diese Vorstellung nachdenke, weiche ich davor unwillkürlich zurück. In diesem Szenario dürfte es schwer fallen, mit dem Kumpel die neuesten Beauty Tipps zu diskutieren. Ich könnte mir vorstellen, dass eine derartige Weiterentwicklung nicht nachgefragt wird. Wer setzt sich schon - abgesehen von Masochisten - gerne freiwillig Schmerzen aus! Wie sich die Spiele weiterentwickeln, entscheidet die Nachfrage der Spieler, die Angebote unterbreiten die Spieleentwickler im Rahmen des technisch Machbaren.
Während des Spiels beobachtet das Bewusstsein des Spielers unterschiedliche soziale Systeme und operiert darin auf spezifische Weise. Da ist zunächst das Spiel selbst mit seinen Regeln, dann das eigene Team im Spiel und die Kommunikation mit Freundin oder Freund am Headset, die oder der gleichzeitig Mitglied im Team des Spielers sein kann. Das Kommunikationsangebot im Spiel unterbreitet der Spieler in Form von Signalen, die er über Maus Tastatur oder Joystick absetzt, wie mit den Teammitgliedern Strategien ausgetauscht und abgesprochen werden, entzieht sich meiner Kenntnis. Die Unterhaltung mit Freunden vollzieht sich in natürlicher Sprache über das Headset. Die strengen Regeln des sozialen Systems Call of Duty sehen vor, dass immer mehr Figuren ausscheiden. Es kann zu einer Art Wiederauferstehung der Figuren kommen, „wie“ soll uns hier nicht interessieren. Für den Spieler, der endgültig ausscheidet, ist das Spiel und damit das soziale System Call of Duty beendet. Das Bewusstsein des Spielers operiert in unterschiedlichen Kommunikationskreisen parallel, wobei es die unterschiedlichen Systeme, den Spieler bzw. die Kommunikation des Spielers im jeweiligen System auf eigene Weise beobachtet, wahrnimmt und spezifische Abbilder und Erinnerungen davon generiert. Um das Spiel gewinnen zu können, darf die Aufmerksamkeit nicht willkürlich zwischen den Systemen oder Kommunikationskreisen hin- und her springen. Der Avatar des Spielers ist Jäger und Gejagter. Das Bewusstsein braucht in der komplexen Situation eine Metainstanz, die die Aufmerksamkeit lenkt.
Die erlebten Beobachtungen leben nach dem Spiel im Spieler weiter, doch das hat nichts mehr mit der Spielsituation zu tun. Das Spiel verändert die Gehirnstruktur des Spielers, ob der Umbau heftiger ausfällt als bei anderen Spielen, soll Gegenstand wissenschaftlicher Studien bleiben. Es ist davon auszugehen, dass Mensch-Ärgere-Dich-Nicht die neuronalen Strukturen weniger stark beeinflusst. Im Sportunterricht spielten wir häufig Völkerball, in der zwei Mannschaften gegeneinander antreten und versuchen sich gegenseitig mit einem Ball abzuwerfen, bis kein Spieler mehr übrig bleibt. Wer getroffen wird und den Ball dabei nicht fängt, scheidet aus. Obwohl beim Völkerball Verletzungsgefahr und physischer Schmerz droht, geht es nicht darum, einen anderen Körper zu verletzen oder zu töten. Call of Duty spielt mit dieser Illusion. Wie entsteht Distanz zum Spiel? Manche nehmen Spiele so ernst, dass sie den emotionalen Aufruhr kaum bändigen können und in andere soziale Interaktionen transferieren. Aus Spiel wird Ernst, wie man sagt. Inwiefern Call of Duty Warzone Battle Royal in dieser Hinsicht gefährlicher als andere Spiele ist, können Spieler und Psychologen besser beurteilen. Wer nicht bemerkt, dass er vor einem Bildschirm sitzt, auf Maus, Tastatur, Joystick oder was auch immer drückt und sich der Avatar auf die Eingabebefehle hin im Spiel bewegt, braucht professionelle Hilfe. Es ist interessant, wie die Seele die beobachtete Interaktion in einem sozialen System, wie z.B. in einem Spiel verarbeitet und welche Auswirkungen das auf die Kommunikation in anderen sozialen Konstellationen hat. Gelingt es einem Individuum nicht, eine kognitive Metaebene einzunehmen und das ins Bewusstsein oder in die Erinnerung kopierte Bild der Kommunikation in der spezifischen Konstellation getrennt zu halten und zu relativieren, dürften sich Probleme in der Psyche und im sozialen Verhalten des Idividuums ergeben.
Beim Lesen einer Geschichte, einer Novelle, Erzählung oder eines Romans kann ich mich zeitweise verlieren, doch sobald ich das Buch ablege, sehe ich ein physisches Objekt vor mir und augenblicklich fange ich an, das Gelesen zu reflektieren, finde Distanz, stelle mir die Geschichte, die Erlebnisse der Protagonisten vor, versetze mich vielleicht in deren Situation, durchdenke Konfliktsituationen, in meinem Bewusstsein entsteht eine Welt, die nicht meine ist, die ich aber doch nachfühlen und in Beziehung zu mir, zu persönlich Erlebtem, zu Erinnerungen setzen kann, die ich auch zurückweisen kann. Jedes Buch schafft eine eigene Welt in mir, ich bin mir dessen bewusst, dass die Welten virtuell sind. Ich lese gerade „Krieg und Frieden“ von Lew Tolstoi. Feldherren führen Soldaten wie Marionetten aufs Schlachtfeld. Tolstoi schreibt über einen Krieg, der stattgefunden hat. Wenn er schreibt, wie viele Soldaten bei den Schlachten durch Kugeln und Granaten des Feindes, vor Hunger und Kälte oder an Krankheiten gestorben sind, hat das einen wahren Kern und er stellt die Frage, wie es dazu kommen konnte.
Ich weiß nicht, ob in Kriegen schon völlig autonome Drohnen eingesetzt werden, die meisten werden wohl noch von Drohnenpiloten gesteuert, die weit entfernt vom Ort des Einschlags sitzen. Fühlt sich die Steuerung einer Kampfdrohne an, wie ein Videospiel, als wäre man in einer virtuellen Welt? Wird dem Drohnenpilot eine virtuelle Welt vorgespielt, um moralische Skrupel zu minimieren oder ist das gar nicht nötig? Befehl ist Befehl. Naiv, wie ich bin, denke ich, dass man den Unterschied zwischen der Steuerung einer Drohne und deren fatalen Auswirkungen auf das Leben von Menschen und dem Spiel Call of Duty erkennen müsste. Falls nicht, wäre das behandlungsbedürftig. Leider erkennt man manche behandlungsbedürftigen Fälle zu spät.
Spiele entspannen und können süchtig machen. Die Ursache der Spielsucht liegt selten nur im Spiel, es wirken zahlreiche andere Faktoren mit (vgl. den Essay „Schachnovelle von Stefan Zweig“). Aus Spiel wird Ernst, wenn Sicherungen durchbrennen und eine Vorschädigung vorliegt. Die muss nicht aus dem Spiel resultieren. Die Beobachtung der eigenen Interaktionen mit Mitmenschen und deren seelische Verarbeitung dürften weitaus entscheidender für die seelische Entwicklung eines Menschen sein als die Verarbeitung eines Spiels. Spiele können durch das innewohnende Regelwerk helfen, Ereignisse, emotionale Herausforderungen im geschützten Raum zu erproben, um in Stresssituationen im realen Leben besser gewappnet zu sein. Welchen positiven Beitrag Call of Duty Warzone Battle Royal dazu leisten kann, vermag ich nicht zu beurteilen. Allzu hohe intellektuelle Ansprüche wird es eher nicht befriedigen. Der Spieler kann ohne Risiko in die Wettkampfarena treten, sich stellen, versuchen zu siegen, einem Trieb nachgehen, den man vielleicht besser im Sport auslebt, der im Alter definitiv nachlässt, dem die Gesellschaft aber ansonsten wenig Raum gibt. Und irgendwann wird man fast jeder Beschäftigung überdrüssig, auch wenn man ihr jahrelang begeistert nachgegangen ist.


