Zwischen Verwahrlosung und Einsamkeit
- rbr0303
- 26. Jan.
- 3 Min. Lesezeit

Zwischen Verwahrlosung und Einsamkeit
Ich glaube nicht, dass ich der einzige Mensch auf der Welt mit einer zärtlichen Neigung zur Unordnung, zum Horten von Dingen bin, dem das Wegschmeißen vermeintlich unnütz gewordener Dinge, Bücher, CD’s, Gegenständen manchmal sogar Kleidung schwerfällt, sind sie doch nicht selten mit süßen Erinnerungen verbunden. Doch ab und an überfällt uns das Bedürfnis auszumisten, zu entrümpeln und Ordnung in unserem Leben zu schaffen.
Wir müssen nicht nach Japan reisen oder die Bücher japanischer Bestsellerautoren lesen, um den Minimalismus zu entdecken. Die Ideen durchziehen in Wellen auch unser abendländisches Denken seit der Antike, seit es Phasen des Überflusses gibt. Es ist schön zu erkennen, dass wir hier einem weltumspannenden Kulturphänomen begegnen.
Die menschliche Seele verkümmert, ohne den Austausch mit Dingen, Pflanzen, Tieren und Menschen, ohne das Gefühl, sie in sich aufzunehmen und auf sie einzuwirken. Leblos scheinende Dinge sind der letzte Anker zur Welt, wenn alles andere nicht mehr erreichbar ist.
Was geschieht in uns und mit uns, während sich Dinge in unserer Wohnung, in unserem Keller, in unserem Haus oder in unserer Garage anhäufen? Was passiert mit uns, wenn wir Gegenstände entsorgen?
Alles kann weg, wofür wir nichts Positives empfinden, kann nicht unwidersprochen stehen bleiben. Gewisse Papiere und Gegenstände brauchen wir, obwohl sie uns persönlich bedeutungslos erscheinen, für unsere Stellung in der Gesellschaft, als Nachweis unserer Existenz, für unser Überleben aber dennoch wichtig sind. Vielleicht rettet uns ein offensichtlich wertloser Gegenstand in ferner Zukunft das Leben. Manch einer hat ein so großes Herz, dass jedes Haus zu klein wäre, die emotionalen Schätze aufzubewahren.
Was muss weg? Gegenstände, die wir aufbewahren, die rumliegen, ob ordentlich verstaut oder unordentlich auf dem Tisch, im Regal, auf dem Boden, dem Sideboard, die wir nicht sehen, obwohl sie tagein tagaus unseren Blicken ausgesetzt sind, könnten grundsätzlich entsorgt werden. Da sich an nichtigen Gegenständen unser Zorn hemmungslos entladen darf, ohne dass wir uns dadurch schaden und soweit keine Mitmenschen in der Nähe sind, sollten wir nicht alle wegschmeißen. Aber was kann ein nichtiges Ding dafür, wenn die Gefühle entgleisen und in Tobsucht entarten?
Jedes Ding ist ein Schmutzfänger, kann zur seelischen Belastung werden, schafft Lebensraum für Insekten wie Kakerlaken und Spinnen und vergrößert so die Biomasse. Wenn wir einen in unseren Augen vermüllten Haushalt besuchen oder sehen, schließen wir auf seelische Verwahrlosung, was macht es mit uns, wenn wir kaum noch etwas besitzen, die Wohnung bis auf wenige Gegenstände leer ist. Ein Blick in die Lücke mag Glück versprechen, ein Blick ins Leere kann uns Einsamkeit fühlen lassen, mag sogar manchmal weh tun.
Unfreiwilliger Minimalismus endet nicht selten in Materialismus. Dinge loszuwerden und Ordnung zu schaffen, kann befreiend wirken, wir sollten dazu bereit sein und nicht aus modischen Erwägungen handeln oder dazu gezwungen werden.
Auch wenn wir Ordnung schaffen, nimmt das Maß der Unordnung auf unserer Erde insgesamt zu. Die Ästhetik einer aus Scherben wieder zusammengesetzten Vase ist mit großem Aufwand erkauft, gleich einem wertvollen Kunstwerk. Selbst wenn es schnell dahin gepinselt wurde oder nur aus wenigen Farbklecksen besteht, mag der Schaffens- oder Leidensprozess im Vorfeld sehr aufwändig gewesen sein und die Wirkung umso größer, wie bei einem kurzen bewegenden Gedicht.
Sieht unsere Umgebung so aus wie unsere Seele oder passt sich die Seele ihrer Umgebung an und was geschieht, wenn man dem System Zwang antut? Es lohnt sich, die uralten Fragen immer wieder neu zu stellen, zu beantworten und dazu eine innere Haltung zu entwickeln, denn wer will schon verwahrlosen oder vereinsamen oder im schlimmsten Fall beides?


